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Klimaforschung

Geologen erklären größte Katastrophe des Mittelalters

536 nach Christus verdunkelte eine mysteriöse Wolke auf Jahre den Himmel - die größte Naturkatastrophe der vergangenen Jahrtausende sorgte für Dürren, Hunger und Seuchen. Jetzt glauben Forscher die Ursache gefunden zu haben.
Berichte aus dem Jahr 536 zeugen von dramatischen Geschehnissen: Der Himmel verdunkelte sich für lange Zeit. Roter Blutregen ging nieder. Selbst am Mittelmeer kühlte es dramatisch ab. Frostige Winde und Dunkelheit ließen weltweit die Ernte verderben. Es war die stärkste Abkühlung der letzten zwei Jahrtausende.
Die mysteriöse Wolke von 536 ging in die Geschichte ein: "Die Sonne leuchtete das ganze Jahr schwach wie der Mond", schrieb der zeitgenössische Historiker Prokopios in Byzanz. Hunger, Krankheiten und Tod plagten die Menschen. Bewohner Roms schilderten, dass ein Jahr lang "eine bläuliche Sonne" selbst mittags keinen Schatten warf. Ähnliches wurde aus anderen Erdteilen berichtet.
Die frühmittelalterliche Klimakatastrophe könnte zu gravierenden Umwälzungen in jener Epoche beigetragen haben, meinen Wissenschaftler: Hochkulturen in Indonesien, Persien und Südamerika verschwanden; Dürren hatten ihnen zugesetzt. Großstädte verfielen, in Byzanz kam es 536 zu andauerndem Vandalismus.

Spur führt nach Australien

Indes: Der Fall ist ungelöst, die Ursache der wohl folgenreichsten Naturkatastrophe der letzten Jahrtausende unbekannt. Geoforscher haben den Kreis möglicher Verursacher eingegrenzt: Nur ein großer Vulkan oder ein Meteorit kommen in Frage. Doch was genau die Ursache war wurde nicht überführt - bislang.
Denn jetzt gibt es eine heiße Spur: Wissenschaftler haben Hinweise auf einen gewaltigen Meteoriteneinschlag gefunden. Zusammen mit anderen Indizien schält sich ein dramatisches Szenario heraus: Offenbar hat die frühmittelalterliche Klimakatastrophe zehn Jahre gedauert, ausgelöst von mindestens zwei monströsen Naturereignissen, berichten Wissenschaftler auf dem Herbsttreffen der American Geophysical Union (AGU) in San Francisco.
Um eine mehrjährige Klimaabkühlung auszulösen, wäre eine riesige Einschlagswolke nötig. Steckt ein Meteorit dahinter, hätte er mindestens 300 Meter dick sein müssen, hatten drei britische Wissenschaftler 2004 ermittelt. Ein entsprechend großer Krater war allerdings nirgendwo bekannt.
Jüngst aber entdeckten Forscher im Meeresgrund vor der Küste Australiens im Golf von Carpentaria den Krater eines etwa 600 Meter dicken Meteoriten. Dallas Abbott, Dee Breger und weitere Geologen von der Columbia University in den USA haben nun Meteoritenspuren datiert, die wahrscheinlich von dem Einschlag stammen. Sowohl im Meeresgrund vor Australien als auch im Eis Grönlands hatten die Forscher Partikel eines zerplatzten Meteoriten entdeckt. Ihr Ergebnis: Der Meteorit käme als Auslöser in Frage. Er sei in der Zeit um das Jahr 539 herum niedergegangen, berichten die Geologen auf der AGU-Tagung.

Niedergang der Maya

Indizien der mittelalterlichen Klimakatastrophe kennen Forscher schon lange: Jahresringe von Bäumen. Ihre Dicke gibt Aufschluss über das Wetter zur betreffenden Zeit. Die Ringe aus dem Jahr 536 sind außergewöhnlich schmal - die Bäume sind in dieser Zeit fast gar nicht gewachsen. Auch manche Jahre danach weisen dünne Ringe auf. Bereits 1990 diagnostizierten Klimaforscher anhand der Daten eine damalige weltweite Abkühlung von drei Grad - ein Extremwert. Das Szenario passte gut zu historischen Überlieferungen.
Aber erst vor acht Jahren entdeckten Geoforscher Spuren einer möglichen Ursache. Im Eispanzer Grönlands fanden sie Schwefelablagerungen, die sie dem Jahr 527 zuordneten. Über Grönland schwebt kontinuierlich Schnee zu Boden, der mit der Zeit zu Eis wird. Bläschen im Eis speichern die Luft der Vergangenheit. Die Datierung der Ablagerungen gelingt allerdings meist nicht auf das Jahr genau, denn oft vermischt sich der Schnee mit dem der Vorjahre. Deshalb könnte der Schwefel auch 536 abgelagert worden sein, meinen Experten. Wie auch immer: Offenbar gab es in der Zeit einen Vulkanausbruch.
Doch war er mächtig genug, um die damalige Welt derart stark durcheinander zu wirbeln? Große Eruptionen hinterlassen ihre Spuren in allen Teilen der Erde. Tatsächlich entdeckten skandinavische Forscher 2008 in Eisbohrkernen in der Antarktis Schwefelablagerungen, die sie in etwa dem Jahr 534 zuordnen konnten. Vermutlich habe eine heftige Vulkaneruption in den Tropen den Schwefel über die Welt verstreut, schrieben die Wissenschaftler. Welcher Feuerberg dahinter steckte, blieb freilich unklar.
Der Krakatau in Indonesien käme in Frage, meinen Vulkanologen seit langem; er sei irgendwann zwischen 6600 vor Christus und 1215 nach Christus mit extremer Wucht explodiert, nur eine Ruine des Berges blieb übrig. Nicht ganz so heftig war wohl der Ausbruch des El Chichón in Mexiko - dafür ließ sich seine Eruption aber ziemlich genau festlegen - auf etwa 539 nach Christus. Die Maya-Kultur in Mexiko erlebte in dieser Zeit eine schreckliche Katastrophe, Dürre vertrieb die Menschen aus ihren angestammten Gebieten. Aber war der Ausbruch heftig genug, um eine weltweite Katastrophe auszulösen?

Doppelschlag wie ein Atomkrieg

Die Daten waren nicht eindeutig. Die nun entdeckten Meteoritenspuren könnten die Puzzlestücke zusammenfügen. Bohrungen im Meeresboden nahe dem Krater hätten eine Schicht charakteristischer Meteoritentrümmer zutage gefördert, sagt die Geologin Cristina Subt von der University of Texas in El Paso im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE: beispielsweise zerquetschte Quarze und Minerale, die einst schmolzen. Es handle sich um dasselbe Material, das auch im nahe gelegenen Krater im Golf von Carpentaria gefunden worden sei. Die Altersbestimmung deute auf einen Einschlag "im fünften oder sechsten Jahrhundert" hin.
Die Daten aus dem grönländischen Eis sind genauer: Die betreffende Eisschicht habe sich ungefähr 539 nach Christus abgelagert. Neben Meteoritenspuren liegen darin Gehäuse winziger tropischer Meeresorganismen, sogenannter Diatomeen. Um die bis nach Grönland zu wehen, müssten die Organismen "hoch in die Atmosphäre" gelangen, dafür sei viel Energie nötig, sagt Dallas Abbott. Fraglos sei ein Meteorit dafür verantwortlich.
Spuren eines Vulkanausbruchs und eines Meteoriteneinschlags - die mysteriöse Wolke wird immer mysteriöser. Der Meeresforscher Mike Baillie von der Queen's University Belfast in Nordirland meint, es habe zwei Naturkatastrophen gegeben. Seine Annahme steht im Einklang mit Baumringen und historischen Quellen, die auf Dürreperioden bis Mitte der 540er-Jahre hindeuten.
Vermutlich habe es erst einen großen Vulkanausbruch gegeben, gefolgt von einem Meteoriteneinschlag, meint Mike Baillie. Ein Jahrzehnt lang könnte die Welt von Staubwolken eingehüllt gewesen sein.
Würde sich nur eine dieser Katastrophen in der modernen Welt wiederholen, kämen die Folgen einem weltweiten Atomkrieg gleich. Quelle: SPON vom 21.12.2010

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